Die 2HSC auf biographischer Spurensuche
Im 2. Jahrgang der HLS steht im Fach „Sozialmanagement und angewandtes Projektmanagement“ (SMPM) das sozialarbeiterische Handlungsfeld „Alte Menschen“ am Programm. Als Hausübung über die Weihnachtsferien bekamen die Schüler*innen der 2HSC den Auftrag, ein biographisches Interview mit einer älteren Person aus dem eigenen Umfeld zu führen. Die wichtigsten Eckpunkte dieser Lebensgeschichten wurden dann in Form eines Zeitstrahls visualisiert.
Die dabei entstandenen Arbeiten stellen nicht nur individuelle Biografien vor, sondern verraten auch so einiges über die europäische Sozialgeschichte der letzten sechs bis acht Jahrzehnte: Von Krieg und Frieden, von Emigration aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien oder aus der österreichischen Provinz nach Wien, von sozialen Aufstiegen und Umbrüchen.
Hausübungen in SMPM bei Mag. Stefan Kalnoky, MA von Angelina Atanasijevic, Elida Ayik, Maria Gudelj, Nina Schimanovich, Jeanette Schmid, Julia Vollmost, Hatice Ugurlu
Name: Frau K.
Geburtstag: 25.09.1938, Wien → zurzeit 82 Jahre alt
Wichtige Lebensereignisse
Schulausbildung: ab 1943
Frau K. verbrachte ihre Kindheit während des 2. Weltkriegs.Sie besuchte die Volk-, Hauptund Berufsschule. Während des Krieges musste sie immer wieder die Volksschulen wechseln, weil einige von ihnen beispielweise keine Kohle mehr erhielten und das Heizen nicht möglich war. Durch die Kriegsumstände wurde es sehr kalt. Frau K. berichtete von Bombeneinschlägen und einer kaputten Brücke. Als der Fliegeralarm losging, forderte die Lehrerin die Kinder auf, ihre Sachen zu packen und nach Hause zu rennen. Sie mussten im Keller wohnen und die Fenster abdecken, die Lichter mussten immer ausgeschaltet sein, damit die Alliierten nicht wussten, in welchen Häusern sich Menschen befanden und sie bombardieren konnten. Nach dem Krieg gab es keine Lehrstellen und sie begann im Jahr 1952 ihre Ausbildung als Verkäuferin.
Hochzeit/Ehe: 1954 Mit 16 Jahren heiratete Frau K. mit Zustimmung des Gerichts und ihrer Eltern aus Liebe. Ihre Eltern ließen sich während des Krieges scheiden und sie wuchs mit fast nichts bei ihrer unabhängigen Mutter, einer Schneiderin, auf. Sie fühlte sich immer einsam, denn sie hatte keine Geschwister, Großeltern und niemanden mit dem sie reden konnte. Ihre Großväter, welche im Burgenland lebten, starben während des Krieges. Die Geburt ihrer Tochter war für sie das Beste auf der Welt und das Einzige, was sie am Leben hielt. Ihr Leben war sehr schwer, sie lebte mit ihrem Mann in einer Wohnung, die ihrer Mutter gehörte. Ihr Mann begann sich anders zu verhalten, kam für längere Zeit nicht mehr nachhause und brachte auch kein Geld mehr ins Haus, doch zum Glück hatte sie sehr viel Muttermilch, die sie verkaufte und sich so über Wasser hielt.
Kinder: 2
Tochter: 22.10.1955
Sohn: 23.10.1967 → Enkelkinder: 5 + 2 Urenkelkinder
Als Frau K. mit ihrem zweiten Kind hochschwanger war, bat ihre Tochter sie darum, ihren kleinen Bruder bloß nicht an ihrem Geburtstag zu bekommen. Das gelang: er wurde am Montag und ihre Tochter am Sonntag geboren.
Scheidung: 1957 ließ sich Frau K. von ihrem ersten Ehemann scheiden.
Dank einer Nachbarin, einer älteren Frau, die sie in der Römergasse kennengelernt hatte und die sich um ihre Tochter kümmerte, gelang es Frau K. endlich wieder zu arbeiten. Die Enkelin der alten Frau lud sie ein mit ihr tanzen zu gehen. Nach langem Überlegen und Überreden ging sie, ohne zu ahnen, dass der Mann, der sie zum Tanzen aufforderte, ihr zukünftiger Ehemann und der Vater ihres zweiten Kindes sein würde. 1960 heirateten die beiden.
1961 verstarb der Hausverwalter des Hauses, in dem Frau K. wohnte, und da die Wohnung, die sie renoviert und in die sie viel Geld investiert hatten, auf den Namen ihrer Mutter unterschrieben worden war und es zu weiterer Unschlüssigkeit kam, wurden sie schließlich obdachlos. Nach drei Jahren Obdachlosigkeit, in welcher Frau K. mit ihrer Tochter, getrennt von ihrem zweiten Ehemann, bei Bekannten wohnte, gelang es ihr, eine Wohnung in der Effingergasse zu bekommen.
Im November 1964 bewarb sie sich in einer Strumpfstrickerei, wurde eingestellt und schließlich sechs Monate ausgebildet. Dadurch gelang es Frau K., die ganzen Kredite abzuzahlen. Nach einiger Zeit zogen sie, ihr Mann und ihre Tochter mit Hilfe des Unternehmens nach Spanien, wo sie selbst die Firma leitete. Ihre Tochter ging dort fortan dort zur Schule und ihr Mann brachte ihr denselben Stoff, den sie in der Schule gelernt hatte, auch auf Deutsch bei, so dass sie sofort zur Schule gehen konnte, sodass sie im Mai 1967 nach Wien zurückkehren konnten, ohne Klassen wiederholen zu müssen. Es stellte sich heraus, dass Frau K. mit ihrem zweiten Kind schwanger war. Jetzt lebten sie zu viert in einer 50 km² Wohnung in der Wernhardtsstraße, doch sie tauschten nach einiger Zeit mit der Hausbesorgerin in eine größere Wohnung. Frau K. arbeite somit gleichzeitig als Verkäuferin und Hausbesorgerin.
Ihr Mann wurde 2008 krank und starb nach 56 Jahren Ehe. Wenn er einer Operation zugestimmt hätte, hätte er Pflege gebraucht, aber als sehr aktiver Mensch und Athlet hätte er niemals so weiterleben können und deshalb entschied er sich dagegen.
Als ich die Frau fragte, ob sie jemals unglücklich gewesen sei, antwortete sie mit „nein”. Sie war Mutter mit Leib und Seele, da sie sich als Kind sehr einsam gefühlt hatte. 2020 war aber ein sehr schwieriges und verlorenes Jahr für sie, weil sie ihre Familie, ihren Sohn, ihre Enkel und Urenkel in Tirol nicht besuchen konnte.
Gesundheitlicher Zustand: Frau K. achtet sehr auf ihre Gesundheit und geht wöchentlich zum Arzt, sie leidet an keiner Krankheit und ist mit 82 Jahren immer noch in guter Verfassung.
Pension: offiziell 1994 Sie leistete zusätzliche Arbeit. Bis zu ihrem 70. Lebensjahr war sie Verkäuferin in einem Süßwarengeschäft.
Lebensweisheit: „Sei immer optimistisch! Auf jeden Tiefschlag muss ein Lichtblick folgen.“
Wie das Leben von Frau K. zeigt, musste sie alle zehn Jahre wieder bei Null, neu und mit nichts in der Hand anfangen, und. hat trotzdem ihren Optimismus bewahrt.